Adio Mühleberg
Fast 50 Jahre lang wurde der Siedewasserreaktor von Mühleberg jeden Sommer abgestellt. Eine Narkose für die Revision, immer im Sommer und immer nur vorübergehend. Heute nicht. Aus, definitiv. Für mich löst das Erinnerungen aus. Bei der Weiterbildung in Nukleartechnik haben wir nämlich unter anderem auch Mühleberg besucht.
Am Eingang eine bescheidene, offene Portierloge, bedient von einem schon fast Pensionierten mit einem schweren Revolver, in Wildwestmanier getragen. Messerli. Als sie kurz darauf die Loge mit kugelsicherem Glas verkleideten, ging das Gerücht um, das solle verhindern, dass der Messerli unabsichtlich jemanden erschiesst.
Ähnlich romantisch der Kommandoraum, tatsächlich mit Aussicht auf die Aare. Wird wohl wenigstens Panzerglas sein. Dort drin einige Operateure, welche in aller Ruhe Drücke und Temperaturen kontrollieren. So ist das dort, mindestens stundenlang kein Stress, keine Hektik, schon fast idyllisch.
Aber dann plötzlich ein Brandalarm bei einer Speisewasserpumpe. Jetzt flattern sie herum wie aufgescheuchte Hühner. Sie haben 3 Minuten, geeignete Massnahmen gegen den Brand einzuleiten oder den Alarm als Fehlalarm zu entlarven. Gelingt ihnen das nicht, stellt das Sicherheitssystem die Anlage ab: SCRAM. Nur davor haben sie den Bammel, weil es dann 24 Stunden geht bis das Ding wieder auf Vollast arbeitet und Geld verdient. Einmal hat einer mit einem Handwagen ein Quecksilbermanometer gerammt und hat so einen SCRAM ausgelöst. Sie haben dann einfach um das Messgerät herum ein massives Geländer gebaut. Kein Einziger der Angestellten scheint dort mit einem GAU oder SUERGAU zu rechnen.
In einem versteckten Winkel lässt ein Monteur etwas an einer Schnur drei Stöcke tiefer baumeln. Er grinst und sagt, da hänge sein Dosimeter dran und er könne so vielleicht Strahlung „sammeln“ ohne ihr tatsächlich ausgesetzt zu sein.
Dann ist der Besuch auch schon vorbei und wir werfen in der Garderobe die Werkkleidung inklusive oranger Unterwäsche in grosse Wäschekörbe (das haben sie in Mühleberg erfunden, lange vor Guantanamo). Allerdings mussten wir dafür zuerst die Strahlenkontrolle passieren. Zuerst werden die Hände gescant und schon geht bei mir ein Alarm los. Es stellt sich dann heraus, dass meine fast neue Armbanduhr leider noch Radium-Leuchtziffern hat, für mich natürlich ein Grund, sie umgehend zu entsorgen. Zur Ganzkörperkontrolle stellt man sich auf einen Teller, welcher sich langsam um 360 Grad dreht. Als Lorenzo gerade die halbe Drehung hinter sich hat und gegen die Wand schaut, kann ich der Versuchung nicht widerstehen und halte ihm meine Uhr kurz über den Kopf. So viel zum Umgang von Angestellten und Besuchern mit ionisierender Strahlung.